Marcel Mayer
Über meine künstlerische Arbeit In meiner künstlerischen Arbeit interessierte mich immer das figurative Bild; seit einigen Jahren die „medialen“ Bilder. Wie erscheinen Sie? Was zeigt eine Fotografie und welche Geschichte hat sie als physisches Objekt? Was bewirken Textlegenden?
Ausgangspunkt ist mein eigenes Erleben der Geschichte des 20 Jahrhunderts, das Ende des kalten Krieges und die Konflikte danach, Flucht, Migration und der Wandel von Technologie und Gesellschaft. Die Digitalisierung verändert unseren Umgang mit Medien und Fotografie stark. Informationen und Bilder sind jederzeit verfügbar und zugleich habe ich persönlich den Eindruck, mit dieser Flut verliert sich die Tiefe unserer Wahrnehmung. Ich verstehe mich als „Chronist“ und versuche meine Gegenwart historisch zu Verorten und visuell zu dokumentieren – dies hat im Medium der Druckgrafik eine lange Tradition.
Der Schnelllebigkeit setzte ich das Langsame und Dauerhafte der Druckgrafik gegenüber. Ich liebe das manuelle Arbeiten mit Nadel, Stichel, Drahtbürste oder Schnitzesser. Damit vertiefe ich mich in Oberflächen von Stein-, Metall- oder Holzplatten. Ich verwende Techniken wie Holzschnitt, Radierung oder Lithografie. Durch das analoge Arbeiten mit Farben, Papier und Druckpressen aller Art hat der Arbeitsprozess etwas sehr inspirierendes, das Werk entsteht in mehreren Arbeitsschritten und kann fortlaufend verändert werden.
Dank einem Atelierstipendium konnte ich vor kurzem einen längeren Aufenthalt im Yerewan, Armenien verbringen. Durch eine Reise nach Karabach bin ich auf die Geschichte der Stadt Schuschi im südlichen Kaukasus gestossen. Wenn man heute in dieser Stadt ankommt, steht die Kirche frei auf einer merkwürdig leeren Ebene – erst wenn man historische Fotografien kennt, erfährt man die Ursache: Die Stadt war ehemals ein bedeutendes multikulturelles Zentrum, sowohl für die armenische wie auch aserbaidschanische Einwohner. 1920 wurden bei einem Progrom die armenischen Quartiere vollständig zerstört, die Einwohnerzahl wurde um dreiviertel dezimiert und die Stadt lag danach weitgehend in Ruinen. Eine dieser Fotografie nahm ich zum Ausgangspunkt eines grossformatigen Holzschnittes, welchen ich – mangels Druckpressen – von Hand in mehreren Arbeitsschritten geschnitten und gedruckt habe und hier erstmals in der Schweiz ausstelle.